Erfahrungen eines Familienseelsorgers

Im Abendgebet der Kirche in den Tagen vor Weihnachten heißt es an einer Stelle:

„O Adonai, Du starker Gott! Du bist dem Mose im Feuer des Dornbusches erschienen und hast ihm auf dem Sinai das Gesetz gegeben. Komm, rette uns mit hoch erhobenem Arm!“ (vgl. Ex 6,3)

Dieses Jahr habe ich mein silbernes Priesterjubiläum gefeiert, und während dieser 25 Jahre war ich als Familienseelsorger in Südafrika, Simbabwe und Deutschland tätig. Ein besonderes Moment als Familienseelsorger sind immer die vier Wochen im Advent und das Fest der Geburt Jesu an Weihnachten.

In Deutschland ist die Atmosphäre in dieser Jahreszeit wegen des Wetters ganz anders als in Südafrika und in Simbabwe. In Deutschland ist diese Zeit von der Kälte geprägt, eine Zeit, die mehr nach „innen“ gerichtet ist, eine Zeit besonders für die Familien, wo man gerne zusammen ist, Lieder singt und Glühwein trinkt. Diese Zeit bietet die Möglichkeit, die Stille zu erleben und auf die Geburt Jesu zu warten. Im südlichen Afrika dagegen ist die Atmosphäre ganz anders. Das Klima ist sehr warm, und deswegen ist die Zeit vor Weihnachten eher nach „außen“ gerichtet. Die Kinder haben vier Wochen lang Schulferien. Viele Familien besuchen ihre Verwandten auf dem Land und es gibt viel Bewegung und wenig Stille. Im südlichen Afrika ist der Advent wenig im Bewusstsein, aber Weihnachten wird groß gefeiert, normalerweise und oft als Großfamilie.

Die Schoenstatt-Bewegung hat, besonders in Johannesburg, eine wichtige Tradition in den Gemeinden entwickelt, nämlich „Shelter Seeking“ (Herbergssuche). Viele Gemeinden haben diese Tradition aufgenommen, und während des Advents werden Gruppen von je acht Familien gebildet, die verschiedene Häuser mit der leeren Krippe besuchen. Jedes Jahr gibt es ein anderes Thema, z.B. eine Novene um Frieden oder Gerechtigkeit. Am neunten Tag versammeln sich dann die verschiedenen Gruppen im Schönstatt-Zentrum „Bedfordview“ in Johannesburg, um gemeinsam eine Heilige Messe zu feiern.

Der Kern dieser Vorbereitung durch „Shelter Seeking“ ist das Bemühen, die Menschen – trotz aller Hetze, Stress und Hektik dieser Zeit – zu öffnen für das Mysterium der Geburt Jesus Christi. Die Kinder können am besten diese Zeit als eine Zeit des Staunens erleben.

Eine besondere Aufgabe eines Familienseelsorgers ist es, mitzuhelfen, dass Ehepaare ihre Beziehung untereinander auch als ein „Mysterium“ erleben und dass sie dieses Mysterium miteinander wach halten durch die bewusste Gestaltung gemeinsamer Lebensvorgänge. In solchen Lebensvorgängen sind die Ehepaare eingeladen, Jesus Christus nachzufolgen gemäß ihrer Geschichte, Tradition und Möglichkeit. Die Quelle dieser gemeinsamen Lebensvorgänge ist die Entdeckung und das Wachhalten des Mysteriums ihrer ersten Liebe.

Dass Ehepaare einander als ein „Mysterium“ erleben können durch die verschiedenen Lebensphasen hindurch, setzt voraus, dass sie die Kapazität und die Fähigkeit haben, „staunen zu können“ – staunen über einander sowohl in der Schönheit als auch in der Traurigkeit des alltäglichen Lebens.

  • Als Familienseelsorger erlebe ich immer wieder den Reichtum der Beziehungen, in denen Ehepaare das eigene Selbst entdecken und ihm begegnen, und dadurch die persönliche Identität immer wieder neu formulieren in den verschiedenen Lebensphasen und -situationen. Je mehr ein Ehepaar sein Miteinander als eine „Ich – Du – Wir“-Beziehung erleben kann, umso mehr kann es eine „Ehepaar-Vision“ entdecken und mitten in dieser Beziehung auch Gott als den „Dritten im Bunde“ erleben.
    Drei wichtige Momente, die eine Hilfe sein können, um die Urquelle, die erste Liebe, wach zu halten, sind das gemeinsame Abendgebet, das wöchentliche Gespräch und der gemeinsame Besuch des Sonntagsgottesdienstes.
  • Das gemeinsame Abendgebet als eine Möglichkeit, einander und Gott zu begegnen und miteinander ins Gespräch zu kommen: zuerst Gott für den Tag zu danken, aber auch über den Tag zu reflektieren. Was hat Gott uns heute durch die schönen und schwierigen Momente gesagt?
    Das wöchentliche Ehegespräch bietet die Möglichkeit, im Gespräch einander persönlich zu begegnen und nicht zuerst über die Kinder, über konkrete Pläne oder über Geld zu sprechen, sondern sich über die eigenen Gefühle auszutauschen.
  • Das dritte Moment ist die Begegnung mit Jesus Christus als Ehepaar und als Familie in der sonntäglichen Eucharistiefeier. Dort können die Erfahrungen der Freude und des Leids Christus übergeben werden und dadurch der Alltag in der Kraft Gottes bewältigt werden.

 

Eine schwierige Seite im Leben eines Familienseelsorgers ist die Begleitung von Ehepaaren in Phasen des Leids, in den Herausforderungen des Miteinanders, bei Problemen mit den Kindern, in Krankheiten, besonders bei den eigenen Eltern, in finanziellen Schwierigkeiten durch Arbeitslosigkeit usw. Die besondere Rolle des Seelsorgers ist nicht nur sein Dabeisein und die Begleitung im Leid, sondern auch seine kompetente Hilfe, im einfühlsamen Gespräch den möglichen Sinn im Leid zu suchen, d.h. anstatt der Frage nach dem „Warum“ die Frage nach dem „Wozu“ zu stellen.

Am schönsten ist es für einen Familienseelsorger, zu beobachten, wie einzelne Personen und Ehepaare geistig und seelisch wachsen. Zu merken, dass Ehepaare die Herausforderungen des Lebens meistern und gleichzeitig, dass sie mit Gott in eine Beziehung kommen und dadurch etwas vom dem erleben, was Jesus sagte: „Ich bin gekommen, damit Sie das Leben haben und es in Fülle haben!“ (Joh 10,10).

Pater Michael Hagan


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