Fastenzeit und Corona

Auf meinem Schreibtisch hat sich wieder einiges angesammelt: eine Rechnung, die noch zu bezahlen ist, ein Brief, der abgeheftet werden muss, Notizen für ein Online-Meeting in dieser Woche und noch einiges mehr. Dazu kommen dann noch einige Projekte, die ich im Kopf habe und nicht zuletzt die Weiten des Internets, zu denen mir mein Computer Zugang gewährt. Wenn ich jetzt nicht aufpasse, besteht die Gefahr, dass ich mich buchstäblich „verzettele“.

Der erste Schritt zu Beginn eines Arbeitstages besteht deshalb darin, mich zu sortieren. Ein bisschen Ordnung hilft schon mal, den Überblick zu behalten. Die wichtigen Dinge haben ihren Platz: Die Rechnung kommt in eine Fächermappe zu den anderen Rechnungen, die noch überwiesen werden müssen. Ein Fach weiter in dieser Mappe sind die Kontoauszüge, während der Brief in einen Korb mit der Aufschrift „Ablage“ kommt. So muss ich nicht jedes Detail sofort erledigen, wenn es mir ins Auge fällt, sondern ich kann mich organisieren und somit die Dinge, die zu tun sind, besonnen und in Ruhe angehen.

Ein wesentlicher Teil dieses Vorgangs besteht darin, dass ich priorisiere, also die Dinge nach Wichtigkeit bzw. Dringlichkeit gewichte. Ich versuche, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Somit ist jetzt auch klar, dass ich heute Vormittag keine Kapazität haben werde, noch diesen oder jenen Artikel in der Zeitung oder im Internet zu lesen, von denen ich in den letzten Tagen gemerkt habe, dass sie mein Interesse wecken. Auch dafür wird irgendwann Zeit sein, aber eben nicht jetzt. Wenn ich diese Priorisierung nicht vornehme, dann weiß ich aus Erfahrung, dass ich nicht nur weniger effektiv arbeite, sondern am Ende des Tages auch unzufriedener sein werde.

Die Fastenzeit – eine Zeit für Wesentliches

Solche Zeiten der Bewusstwerdung für das Wesentliche sind alles andere als Zeitverschwendung! Sie helfen – nicht nur bei meinen immer wieder auch notwendigen Büroarbeiten – das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden und so das, was (in unserem Leben) wesentlich ist, zu erkennen und es bewusst zu ergreifen.

Zu Beginn der Fastenzeit habe ich öfters die Frage gehört, ob es denn in diesem Jahr überhaupt sinnvoll ist, zu fasten oder ob wir durch Corona und den langen Lockdown nicht schon genug Verzicht üben. Interessant! Auf diese Frage wäre ich gar nicht so schnell gekommen, wahrscheinlich weil in meinem Verständnis der österlichen Bußzeit nicht der Verzicht an erster Stelle steht, sondern vielmehr ein neues Bewusstsein für das Leben. Fastenzeit ist eben Zeit für das Wesentliche. Ähnlich wie morgens am Schreibtisch geht es in diesen 40 Tagen vor Ostern darum, alles, was mein Leben gerade ausmacht, bewusst in den Blick zu nehmen und zu „sortieren“, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Der Verzicht ist dann erst eine Folge davon, weil ich sehe, es gibt jetzt Wichtigeres.

Lebensveränderung

Am Beginn der Fastenzeit bekommen wir einen „Schlüssel“ an die Hand: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Diese Worte Jesu waren im Evangelium des ersten Fastensonntags zu hören und sind oft auch mit der Austeilung des Aschenkreuzes am Aschermittwoch verbunden. Dort werden wir persönlich angesprochen: „Kehr um und glaub an das Evangelium!“ Was bedeutet diese Aufforderung „Kehr um“? Sollen wir unser komplettes Leben in neue Bahnen lenken, alles in Frage stellen, was wir sonst tun? Im griechischen Text steht für Umkehr das Wort „Metanoia“, das sich aus der Vorsilbe meta (um, nach, jenseits) und dem Wort nous (Geist, Verstand, Vernunft) zusammensetzt. Umkehr ist im biblischen Sinn also zu verstehen als ein Sinneswandel, eine Neuausrichtung des Geistes. Vielleicht trifft es der Begriff Lebensveränderung auch ganz gut, im Sinne einer bewussteren Hinkehr zu dem, was uns lebendig sein lässt und somit ‚mehr‘ Leben ermöglicht. Das Leben, das Gott schenkt, ist zum Greifen nah, wir müssen nur zupacken bei diesem Angebot. In diesem Sinne: Kehr um!

Konkret kann damit ein Perspektivenwechsel verbunden sein: Es geht nicht zuerst ums Verzichten, sondern um eine bewusste Entscheidung für etwas. So kann ich mich zum Beispiel fragen: Wofür möchte ich mir bewusst Zeit nehmen? Was ist mir wichtig? Was bringt mich vielleicht auch wieder mehr mit Gott in Kontakt? Wenn ich das klar habe, kann ich schauen, was ich dafür zu investieren bereit bin, etwa der Verzicht auf die sonst selten hinterfragte Zeit vor dem Fernseher, das bewusstere Achten auf meine Ernährung und damit auf meinen Leib etc.

Die Frage nach dem Zusammenhang von Fastenzeit und Corona geht mir trotz allem nicht aus dem Kopf. Vielleicht ist diese Corona-Zeit mit all dem damit verbundenen Verlust an Selbstverständlichkeiten ja tatsächlich so etwas wie eine „große Fastenzeit“ – eine Zeit, in der Wesentliches wie-der neu in den Blick kommen kann. Ein schöner Gedanke, denn am Ende einer jeden Fastenzeit steht Ostern – das Fest des Lebens.

P. Frank Riedel, München


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