Mitte Januar kamen wir Schönstatt-Patres wieder zu unserer Provinztagung zusammen. Es war das zweite Mal, dass wir uns als große „Europäische Provinz“ getroffen haben. So kamen wir aus verschiedenen Richtungen auf dem Berg Sion in Schönstatt zusammen: aus Großbritannien, der Schweiz, Österreich, Deutschland, Polen, Tschechien und Ungarn.
Solche intensiven Zeiten der Begegnung tun gut. Sie helfen, Beziehungen lebendig zu halten und zu stärken. Sie dienen dem Austausch und der Inspiration. Letztlich können sie die gemeinsame Identität stärken und dazu beitragen, unsere jeweiligen Aufgaben mit neuer Frische und aus innerer Überzeugung heraus anzugehen.
Von zwei wesentlichen Erfahrungen, die unsere diesjährige Provinztagung geprägt haben, will ich erzählen.
Zum einen nahmen wir uns zu Beginn reichlich Zeit, die Erfahrungen des vergangenen Jahres in den Blick zu nehmen. Auf einer „Schriftrolle“ notierten wir Erfahrungen, die uns berührt haben und die insofern in der Erinnerung lebendig sind.
Die Schriftrolle steht als Symbol auch dafür, dass unsere persönliche und gemeinschaftliche Geschichte zugleich Teil der großen Geschichte Gottes mit den Menschen ist. Sie ist ein Anklang daran, wie die Geschichten, die wir heute aus der Bibel kennen, zunächst auf Schriftrollen notiert wurden. In ähnlicher Weise wollen auch wir heute einen gläubigen Blick auf unser Leben werfen und gleichsam die Apostelgeschichte, in der die Erfahrungen der frühen Kirche festgehalten wurden, fortschreiben. Wir durften feststellen, dass im Aufschreiben und miteinander Teilen eine große Fülle an Erlebnissen und Erfahrungen zusammenkam. Manch einer, der zunächst der Ansicht war, dass das Ganze eigentlich doch recht schnell erledigt sei, staunte, welche Vielfalt im Verlauf der Gruppenarbeit entstand und wie viel verdichtetes Leben auf den Schriftrollen sichtbar wurde.
In einem weiteren Schritt konnten Symbole zu dem Geschriebenen hinzugefügt werden, die deutlich machen, wo der Gott des Lebens besonders wirkt: Ein Herzsymbol stand für das Miteinander von Herz und Hand. Eine keimende Pflanze zeigte an, wo Leben wächst. Eine Glühbirne machte deutlich, wo uns ein Licht aufgegangen ist. Und ein Knoten zeigte, wo Schwierigkeiten aufgetreten sind. Mit den Symbolen wurden Schwerpunkte in den vielfältigen Beiträgen sichtbar, und im Gespräch konnte sich nochmals einiges vertiefen.
Der letzte Schritt der Gruppenarbeit bestand im Versuch einer Zentrierung. Die Aufgabe lautete: „Wir verständigen uns auf eine oder wenige Eintragungen auf der Schriftrolle, die in besonderer Weise als geöffnete Tür erscheinen.“ Es ging also darum, genauer hinzuschauen, wo in dem, was an Erfahrungen zusammengetragen wurde, das Potential für neue Anfänge und Wege in die Zukunft liegen.
Im Rückblick am Ende der Tagung haben viele Mitbrüder die Beschäftigung mit der Schriftrolle besonders hervorgehoben. Es entstand daraus die Anregung, in unseren Hausgemeinschaften über das Jahr hinweg regelmäßig eine Schriftrolle zu führen und so weiterhin unser Leben im Licht des Glaubens anzuschauen. Ist es nicht das, worum es in einem christlichen Leben wesentlich geht?
Ein zweites wichtiges Stichwort unserer Tagung war Transformation. Unter dem Begriff wird ein grundlegender Wandel verstanden. In den letzten Jahren taucht er immer wieder in gesellschaftlichen Debatten auf. Wir leben in einer Zeit vielfältiger Transformationsprozesse. Das erleben wir auch in der Kirche und in unserer Gemeinschaft.
Mit der Einladung der Biologin Dr. Sylvia Lorenz, die als „Klimafolgenanpassungsmanagerin“ in einer süddeutschen Großstadt arbeitet, konnten wir eine Referentin begrüßen, die für eine der wesentlichen Transformationsaufgaben unserer Zeit steht. In ansprechender Weise zeigte sie uns, wie in der Natur ständig Transformationsprozesse stattfinden. In der Biologie ist dafür das aus dem Griechischen stammende Wort Metamorphose gebräuchlich, das etwa für den Prozess steht, in dem die Raupe sich zum Schmetterling wandelt.
Frau Dr. Lorenz ermutigte uns, Freude an kleinen, aber beständigen Schritten hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise zu entwickeln. In ihrem Beitrag stand das Thema des Megatrends Klima und Nachhaltigkeit aber nicht nur für sich allein. Es war auch eine Anregung, die in unserer Gemeinschaft anstehenden Zukunftsaufgaben in den Blick zu nehmen und sie mit Zuversicht anzupacken.
Inzwischen sind wir alle längst wieder an unsere Wohn- und Arbeitsorte zurückgekehrt, aber die Erfahrungen der Tagung wirken nach. Die Geschichte, die Gott mit uns schreiben will, geht weiter. Mit ihm blicken wir, in der Erfahrung des Miteinanders gestärkt, hoffnungsvoll in die Zukunft.
So wünsche ich auch Ihnen, dass Sie immer wieder neu in der Zuversicht gestärkt werden. Wir sind Ihnen im Gebet verbunden.
P. Frank Riedel