Sonnige Weihnachten
Nein, bei dem Titel soll es nicht um Klimawandel gehen. Ich möchte auch nicht darüber spekulieren, ob wir in diesem Jahr weiße Weihnachten bekommen oder doch wieder eher frühlingshafte Temperaturen.
Vielmehr möchte ich davon erzählen, wie für mich dieses Jahr Weihnachten bereits im Mai stattfand. Das mag vielleicht komisch klingen, hat aber damit zu tun, dass ich erstmals die Gelegenheit hatte, zusammen mit einigen Mitbrüdern eine Wallfahrt ins "Heilige Land" zu unternehmen. Die Reise führte uns an die wichtigsten Orte des Lebens Jesu, so auch nach Bethlehem.
Einen besonderen Moment erlebte ich in der Geburtskirche, die ich abends aufsuchte, nachdem die großen Pilgergruppen, die Bethlehem oft nur im Rahmen einer Tagesfahrt besuchen, wieder verlassen hatten. So ergab sich ein ruhiger, fast intimer Moment in der Geburtsgrotte, also an dem Ort, an dem wir Christen die Geburt Jesu verehren. Es gab keine lange Schlange zum Anstehen und vor allem drängte auch niemand zum Weitergehen, wenn man einmal unten in der Grotte bei dem berühmten silbernen Stern angekommen war. Neben mir waren noch einige weitere Pilger dort, unter ihnen eine indische Familie.
In die Stille hinein sangen die beiden älteren der drei Kinder ein Lied, dessen Text ich nicht verstehen konnte, jedoch liegt es nahe, dass es ein Weihnachtslied aus ihrer Heimat gewesen sein könnte. Währenddessen kamen Einzelne, die die mit dem Stern markierte Stelle der Geburt Jesu verehrten. Irgendwann wollte die jüngste, ich schätze, noch nicht ganz 3‐jährige Tochter der Familie nicht mehr auf dem Arm der Mutter bleiben. Sie ließ sich absetzen, ging einige Schritte nach vorn und näherte sich so dem Stern (siehe Titelbild).
Offenbar hatte dieses Mädchen das Verhalten der anderen Pilger vorher gut beobachtet, denn es tat es ihnen nun gleich und verneigte sich tief und ehrfürchtig.
Die Szene hatte etwas Ergreifendes und hat sich mir eingeprägt. Es war eine wirkliche Berührung mit diesem heiligen Ort, vermittelt durch ein Kind. Zugleich wirkte die kleine Gruppe, die da schweigend und betend spontan zusammenkam, obwohl man sich nicht kannte, irgendwie familiär.
Ohne zu übertreiben kann ich wirklich sagen: Das war mein Weihnachten im Mai. Die Menschwerdung Jesu können wir eben nicht nur am Weihnachtsfest im Dezember mit der entsprechenden Atmosphäre erleben. Menschwerdung geschieht überall dort, wo Gott unser Leben berührt, wo wir Menschen anfangen zu staunen und wo wir uns ‐ so wie damals die Besucher der Krippe ‐ beugen vor der Liebe Gottes, die uns in Jesus begegnen will.
Unsere Beiträge wollen ein wenig erzählen von solchen Erfahrungen mitten im Leben, in denen Licht und Dunkel in ihrer Intensität ganz nah beieinander stehen. Sie werden merken, dass sich bei uns wieder einiges getan hat. Zurzeit studiert mit Jakob Busch nur ein Mitbruder in München. Johannes Oelighoff hat, nachdem er sein Studium im Sommer beendet hat, mit einem Gemeindepraktikum in Eislingen im Bistum Rottenburg‐ Stuttgart nun die praktische Ausbildungsphase begonnen und geht auf seine Diakonenweihe zu. Zwei Studenten aus Deutschland und Ungarn, Johannes Korn und Gergely Palásthy, haben in diesem Jahr angefangen, in Chile zu studieren. Geplant ist, dass sie den ersten Teil des Studiums dort in unserem internationalen Studienhaus absolvieren und dann nach einem Praktikum hier im Jungen Sion weiter studieren.
Herzlichen Dank für Ihre Verbundenheit und nun viel
Freude beim Lesen!
Botschafter und Empfänger
von Jakob Busch
Ich mag den Moment, wenn ich im Postkasten einen Brief entdecke, der an mich andressiert ist. Kein maschinell erstelltes Schreiben der Krankenversicherung, das mich über die Beitragszahlungen des letzten Jahres informiert, sondern ein handgeschriebener Umschlag, der den Absender eines guten Freundes trägt.
Solche Momente, in denen mir jemand etwas persönlich sagt, sind für mich sehr wertvoll. Sie lassen mich spüren, dass ich gemeint bin. Die Worte des Gegenübers gehen auf mich ein und signalisieren mir: Du bist jetzt wichtig.
Eine solche Haltung ist für mich in meiner Tätigkeit in der Klinikseelsorge auch sehr zentral. In der ersten Hälfte dieses Jahres habe ich eine ehrenamtliche Ausbildung absolviert und arbeite mittlerweile zwei Mal wöchentlich im „Klinikum rechts der Isar“. Es ist eine Tätigkeit, die das eher theoretisch orientierte Studium wunderbar ergänzt.
Für mich ist jeder Besuch auf den Zimmern ein Eintauchen in eine eigene Welt. Jeder Patient, jede Patientin hat mit eigenen Fragen zu kämpfen, erlebt aber auch kleine Freuden des Alltags und Dankbarkeit auf je eigene Weise.
Meine Tätigkeit besteht dabei darin, von Tür zu Tür zu gehen und die Menschen bewusst anzusprechen. Bevor ich das Zimmer betrete, frage ich mich häufig: „Was wartet da jetzt hinter der Tür auf mich? Bin ich dem gewachsen?“ Ich klopfe schließlich an und öffne die Tür.
Meist erwarten die Patienten diesen Besuch nicht, doch ergeben sich sehr oft längere Gespräche. Meine Zweifel, der Situation nicht gewachsen sein zu können, sind schnell verflogen. Stattdessen können die Zweifel und Fragen der Patienten anklingen.
So habe ich in meiner Rolle als Klinikseelsorger zuerst eine hörende Funktion. Nicht ich bringe eine Botschaft – dafür sind eher die Pflegekräfte und Ärzte zuständig – sondern die Patienten sagen mir ihre Botschaft. Hinter den Sorgen um die Angehörigen, die allein zuhause sind oder den Schmerzen, die jemand nach einer OP empfindet, klingen die Lebensthemen an, die den einzelnen gerade beschäftigen. Das Leben beginnt von selbst zu sprechen und verkündet seine je eigene Botschaft. Nicht selten verlasse ich das Zimmer, in dem ich Zeuge eines befreienden Gesprächs wurde und fühle mich selbst bestärkter als vorher.
In der Weihnachtserzählung (Lukas 2,1‐14), die wir jedes Jahr an Heilig Abend hören, sind es Engel, die eine Botschaft des Friedens überbringen. Sie verkünden eine himmlische Wirklichkeit, etwas, das den Menschen Hoffnung bringt. Diese Botschaft besteht in einem neuen Leben, das als Mensch auf die Welt kommt. Klein und unscheinbar beginnt dieses Leben und hat dennoch unbegreiflich große Kraft.
Wir sind in unserem Leben sowohl Botschafter als auch Empfänger. Beides ist wichtig, beides birgt etwas Geheimnisvolles in sich. Für beides braucht es offene Türen.
Ich hoffe, dass wir in der Vorbereitung auf Weihnachten unser Gespür dafür wachhalten, wann wir Botschafter und wann wir Empfänger sind – und wann wir beides zugleich sein dürfen.
Prägende Erfahrungen
von Gergely Palásthy
Im Februar dieses Jahres kam unser Kurs hier in Chile an. Johannes Korn und ich haben unser Noviziat in Paraguay absolviert und studieren seit Anfang des Jahres in Santiago de Chile Theologie. Von Beginn an wurden wir von den Mitbrüdern im Colegio Mayor (unserem Ausbildungshaus) sehr herzlich aufgenommen. Sie machten es uns leicht, uns zu Hause zu fühlen.
Das prägendste Erlebnis dieses Jahres war zweifellos die Krankheit und der Tod von Christian Abud, einem Studenten unserer Gemeinschaft, der im Juni im Alter von 31 Jahren an Krebs verstarb. Er und seine Erkrankung waren das ganze Jahr über sehr präsent bei und das half mir mich ihm anzunähern, obwohl ich ihn persönlich nicht kannte. Sein plötzlicher Tod nach seiner Rückkehr nach Chile (er war in den USA behandelt worden) war ein Schock. Die Beerdigung am selben Tag und zur selben Uhrzeit zu feiern, an der eigentlich die Feier seiner Ewigvertragsweihe vorgesehen war, war sehr berührend. Er hat seine ewigen Versprechen im Tod abgelegt. Aber gemeinsam mit dem Schmerz war diese Feier ein großes Zeugnis von unserem Glauben an die Auferstehung.
Das Jahr war aber auch geprägt von verschiedenen Weihen. Im Mai wurden acht Mitbrüder zu Diakonen geweiht, was neben dem Tod von Christian das wichtigste Ereignis des ersten Semesters war. Anfang Oktober konnten wir eine weitere Diakonenweihe feiern und am Ende desselben Monats wurden die im Mai geweihten Diakone zu Priestern geweiht. Es war schön, diese Mitbrüder als Diakone und dann als Priester zu erleben, ihre Freude und Emotionen wahrzunehmen und sie begleiten zu können. Für die chilenische Kirche, die eine schwere Krise durchlebt, war es ein Zeichen der Hoffnung und der Auferstehung.
Ich empfinde meinen Kurs und die Gemeinschaft im Colegio Mayor als großes Geschenk. Im Verlauf dieses Jahres konnte ich viele Bindungen und Freundschaften vertiefen und ich durfte viele Mitbrüder beim Arbeiten, der Erholung, im Alltag und während des Urlaubs besser kennenlernen. Es ist sehr bereichernd, jeden Tag von den Anderen lernen zu dürfen und dabei gleichzeitig die eigenen Talente und Schwächen zu entdecken. Es tut uns gut, uns wahrhaftig zu begegnen, gemeinsam Zeit zu verbringen und zu lernen uns durch die anderen getragen zu wissen.
Ausbildung inmitten der Krise
von Johannes Korn
Wut, Zerstörung, Gewalt, Tod. Bewegung, Dialog, Annäherung, Hoffnung. Es gibt viele Worte, die die aktuelle Krise in Chile beschreiben könnten und so divers wie die Worte, sind auch die Blickwinkel, die man zu dem Thema einnehmen könnte.
So richtig angefangen hat alles am 18. Oktober. Einige Zeit vorher waren die Metropreise in Santiago erhöht worden, was für einigen Unmut sorgte. Für viele Menschen bedeutete dies eine merkliche Kostensteigerung. Zusammengenommen mit einer schlechten Kommunikation vonseiten einiger Regierungsmitglieder sowie anderer unpopulärer Maßnahmen wirkte dies wie ein sozialer Sprengstoff, von dessen Existenz sich viele nicht einmal bewusst waren. Denn auf dem Papier ist Chile das entwickelteste Land Südamerikas. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es große soziale Ungleichheiten gibt, die sich sehr deutlich im Sozialen, Geographischen und Gesellschaftlichen zeigen und lange ignoriert wurden.
Am besagten 18.10. war ich abends in der Bündismesse in Bellavista, und während wir vor dem Heiligtum das Liebesbündnis erneuerten, konnte man rundherum lautstark die Proteste und Sirenen hören. Zu dem Zeitpunkt war bereits das Metronetz und weite Teile des Verkehrs zusammengebrochen, einige Stunden danach brannten erste Gebäude, U-Bahnhaltestellen und Busse. In derselben Nacht wurde der Ausnahmezustand verhängt und das Militär mobilisiert. Eine Woche lang gab es nächtliche Ausgangssperren.
Die Auswirkungen waren natürlich groß und auch für uns deutlich spürbar. Die ersten Wochen lag das gesellschaftliche Leben praktisch still. Vorlesungen hatten wir das gesamte Semester keine mehr, unsere Universität war lange komplett geschlossen und auch heute gehören gewaltsame Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei, Barrikaden und Vandalismus noch zum Alltag. Normalität ist nicht wieder eingekehrt. Während sich vieles aber etwas beruhigt hat, sind die Ungewissheit und das Fehlen von Routine aber weiterhin sehr präsent.
Die große Frage für uns als angehende Priester war und ist, was wir tun können und was Gott uns durch die Ereignisse sagen will.
Danach suchen wir jeden Tag und auch wenn sich natürlich noch lange keine abschließenden Antworten geben lassen, so gibt es auf jeden Fall einige Initiativen und Aufbrüche. Aufgrund der stark verhärteten Fronten bemühen sich viele Mitbrüder Brücken zu bauen und den Dialog zu stärken. Außerdem bauen wir unser Engagement in ärmeren Sektoren der Stadt aus und versuchen uns gesellschaftlich mehr und bewusster einzubringen.
Denn so viel man über Gewalt und negative Auswirkungen schreiben kann, so ist doch auch sicher, dass die Geschehnisse ein großes Zeichen von Hoffnung sind. Die Gewalt ist nicht zu rechtfertigen, aber schnell ist eine große soziale Bewegung entstanden von vielen Menschen, die wirklich etwas ändern wollen und versuchen, an einem gerechteren Land mitzubauen.
Und wo ist unser Platz in dem Ganzen? Den suchen wir noch, jeden Tag neu. Aber wir vertrauen darauf, dass Gott, der auch „auf krummen Linien gerade schreibt“, uns auch zwischen Protesten, Tränengas und Zorn eine Botschaft der Hoffnung und Zuversicht schenkt.
Wir sagen ein herzliches Dankeschön für alle Unterstützung,
die wir auch in diesem Jahr wieder erfahren durften, sei es im Gebet, durch Spenden, ermutigende Worte oder vielfältige Zeichen der Verbundenheit. Wir wünschen Ihnen eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit und bleiben im Gebet mit Ihnen verbunden.